Blog Kopftätscheln

camis.dog - Verena Köppen, 23.01.2023 (überarbeitet)

Das Kopftätscheln - Warum das bei Hunden eine Unhöflichkeit ist 

Für Hundefreunde gibt es nichts schöneres als einen Hund zu streicheln.

Auch auf Kinder, die Hunde mögen, haben Hunde eine riesige Anziehungskraft.

Es wird auf die Hunde zugestürmt, gestreichelt, auf den Kopf getätschelt, umarmt und festgehalten. Oder wenn der Hund zu einem Menschen hingehen möchte, wird ihm meist die Hand entgegengestreckt, wenn er mit etwas Abstand stehen bleibt oder wenn er dichter kommt, wird von oben herab auf den Kopf getätschelt und in die Augen gestarrt.

 

Doch zu 99% wird diese Kontaktaufnahme von den Hunden DEUTLICH z.B. durch Kopf wegducken, Nasenspiegel lecken, Augen blinzeln/schliessen, Ohren anlegen, Kopf abwenden, Körper wegdrehen oder gar ganz weggehen quittiert.

Deutliche Signale, dass der Hund nicht auf den Kopf getätschelt werden möchte, Augen geschlossen, Kopf wird weggeduckt, Ohren angelegt,

Foto iStock

Bei manchen Hunden, denen diese Kontaktaufnehme zu intensiv und direkt ist, können diese Begegnungen auch mal mit bellen, knurren oder schnappen enden. Dann wird der Hund meist nicht in Ruhe gelassen und noch hinterhergelaufen.

Entzieht sich der Hund komplett der Kontaktaufnahme oder schnappt er sogar, stösst dies auf Unverständnis und die Empörung ist gross, denn in vielen Menschen-Köpfen steckt dieses alte Denken drin, dass ein Hund nur gut "sozialisiert" ist, wenn er alles mit sich machen lässt.

Doch was ist "Sozialisierung" in der Hundewelt?

Sozialisierung findet in den ersten Lebensmonaten eines Hundes statt, beim Züchter durch seine Mutter, evtl. noch durch den Vater, wenn er mit dort lebt, durch ältere Hunde aus früheren Würfen oder Verwandte, also durch seine direkten artgleichen Familienmitglieder. Auf der Strasse ist meist nur seine Mutter da und dafür zuständig, evtl. noch andere Hunde in der Gruppe, die der Mutterhündin wohlgesonnen sind. Sie bringen ihm bei, wie man mit Artgenossen und anderen Lebewesen kommuniziert, wie man Körpersprache deutet und angemessen auf sein gegenüber reagiert.

 

Alles was danach kommt oder nicht mit seinen Familienmitgliedern zu tun hat, ist vielmehr eine Gewöhnung, auch  Habituation genannt, d.h. wir Menschen können einen Hund an bestimmte Dinge gewöhnen, ihn lehren in unserer Gesellschaft zurecht zu kommen, wir als fairer Beziehungs- oder Sozialpartner, der um die Fähig- und Fertigkeiten seines Hundes weiss.

Auch neue Artgenossen nach der Prägephase kennenlernen, ist eine Gewöhnung, fällt aber meist unter den Begriff "Sozialisierung" in der Hundehalter/Hundetrainer Welt, wie sie oft als Kurse in Hundeschulen angeboten werden.

Warum zeigen Hunde nun dieses spezielle Verhalten bei Kontaktaufnahme?

Ein Hund zeigt durch seine Körpersprache, die er von seiner Mutter (und die macht das in der Regel sehr gut) gelernt hat, ganz deutlich, wie er sich gerade in einer Situation fühlt, egal ob einem Artgenossen, einem anderen Lebewesen oder einem Menschen gegenüber.

 

In der Körpersprache der Hunde bedeutet Höflichkeit nämlich DISTANZ!

 

Das heisst also konkret, ein Hund zeigt uns Menschen in einer Begegnung und Kontaktaufnahme, durch:

- sein Kopf nach unten wegducken

- Kopf seitlich abwenden

- züngeln

- Nasenspiegel lecken

- Augen blinzeln/schliessen

- "Whale Eyes" - man sieht das weisse im Auge

- Gähnen

- Ohren nach hinten anlegen

- Pfote heben

- Körper wegdrehen / Körpergewicht Verlagerung

- aus der Situation weggehen

ganz höflich:

"Hey Mensch, mir ist das zu nah! Siehst du meine Signale nicht?

Ich sage dir gerade, dass mir das zu dicht und zu viel ist, ich mag die Interaktion so nicht mit dir, also sei bitte so nett und höre auf damit, lass mich bitte in Ruhe…"


Den Nasenspiegel lecken, das Augen blinzeln und Ohren anlegen, es kann auch noch das Gesicht ablecken des Menschen hinzukommen, dieser gesamte Verhaltensausdruck wird oft als "süss" aussehend oder "jöööh, ist der herzig" interpretiert, also nicht als das, was der Hund eigentlich aussagen möchte.


Diese Signale sind Beschwichtigungssignale,

seine Höflichkeitssignale.


Ist seine Grenze überschritten, kommen die sogenannten "Distance Increasing Signals" (Distanzvergrössernde Signale) zum Vorschein.

Kommen Angst und Verzweiflung hinzu, wird er deutlicher und dann kann es schnell vorbei sein mit der Höflichkeit. Läuft es glimpfig ab, bleibt es beim Bellen, Knurren oder Zähne zeigen, damit der Mensch von ihm ablässt.

Reicht das immer noch nicht aus, ist schnappen oder auch mal ein ernsthaftes, festes Zubeissen die letzte Möglichkeit.

Dieser Hund auf dem Foto möchte nicht festgehalten werden und zeigt das durch angelegte Ohren, Nasenspiegel lecken, und unsicherem Blick, auch Whale Eyes, eine Situation, die oft mit Kindern entsteht, die ihren felligen Freund lieben, Foto iStock

Auch dieser Hund wird festgehalten und möchte aus der Situation fliehen, der Mensch ist extrem übergriffig, hat sogar den Vorderkörper hochgehoben und versteht das Verhalten seines Hundes überhaupt nicht, er möchte alles andere als geküsst werden, Foto iStock

Daher kommen solche Beiss-Vorfälle niemals plötzlich, denn ein Hund warnt IMMER bevor er zubeisst (ich rede hier nicht von den Fällen, wo diese Warnungen ihnen bewusst abtrainiert wurden). Werden diese Warnungen aber immer übergangen, als lustig beurteilt und nicht ernst genommen (gerade auch bei Mini-Hunden sehr verbreitet), können solche Situationen böse enden.


Die oben beschriebenen Beschwichtigungssignale sind also das wichtigsten Kommunikationsmittel eines Hundes, er kann ja nicht reden und sagen, dass er keine Interaktion wünscht und in Ruhe gelassen werden möchte, weil es ihm unangenehm ist. Das muss der Mensch lernen zu verstehen und lernen zu akzeptieren.

Ein Hund möchte von seiner Natur aus keinen Streit, weder mit Artgenossen, mit anderen Lebewesen, noch mit uns Menschen. Er hat, ausgeprägt je nach Erfahrung und Rasse, einen "will to please" - "den Willen zu gefallen".

Er möchte alles richtigmachen und mit seinem Mensch auf einer respektvollen Basis zusammenarbeiten.

Also ist es ratsam, die Beschwichtigungssignale seines Hundes zu kennen.

Ein Hund zeigt sie individuell und nicht alle auf einmal. Die hier aufgeführten Signale sind die, die er am Häufigsten in der Kommunikation mit uns Menschen anwendet. In der Begegnung mit anderen Hunden kommen noch weitere hinzu, manche Hunde haben sogar ein "Lieblingssignal".

Es ist sogar so, dass diese Signale "International" sind, d.h. jeder Hund auf der Welt, der unter normalen Umständen aufgewachsen ist, kann diese Sprache, sogar Strassenhunde und die meistens am besten.


Ausnahmen können sein, wenn Hunde vom Welpenalter an weggesperrt wurden und eben nicht mit ihren verwandten Artgenossen ihre ersten Lebensmonate verbracht haben. Oder Hunde, bei denen bewusst ihre Kommunikation und Körpersprache unterbunden und abtrainiert wurde, das kann sehr vielfältig aussehen und auf diese Methoden gehe ich hier nicht weiter ein.

Worauf sollten Sie also bei einer Annäherung achten:

  • Fragen Sie zu allererst den Besitzer, ob der Hund gestreichelt werden darf. Auch Kindern sollten lernen diese Frage zu stellen, es schützt sie und den Hund
  • Am besten hocken Sie sich, setzen sich oder stellen sich seitlich zu dem Hund hin, beugen Sie sich nicht von vorne oben über ihn, das macht Angst und wirkt bedrohlich
  • Der Hund macht den ersten Schritt, NICHT DER MENSCH! Der Hund zeigt durch langsame Annäherung was er möchte
  • Strecken Sie dem Hund nicht die Hand entgegen, sie unterschreiten damit seine Individualdistanz und dies kann als Unfreundlich und Angriff interpretiert werden. Das Argument der Geruchsaufnahme ist Blödsinn, er hat Sie schon längst gerochen
  • Lassen Sie den Hund zuerst an sich schnüffeln, OHNE dass Sie ihn berühren, das ist seine Art "Hallo, wer bist du?" zu sagen
  • Hat der erste Kontakt durch eine Berührung mit der Schnauze vom Hund stattgefunden, können Sie die Hand langsam seitlich, zu der Körper zugewandten Seite bewegen und den Hund an SCHULTER oder unterem HALS, nicht auf oder am KOPF streicheln
  • Spüren Sie, dass der Hund sich gegen Ihre streichelnde Hand lehnt, ist es in Ordnung für ihn
  • Zieht der Hund seinen Kopf/Körper direkt zurück oder zeigt Beschwichtigungssignale, möchte er keinen Kontakt und lassen Sie wieder Distanz zwischen Ihnen und dem Hund aufkommen, gehen Sie ihm nicht nach. Bitte akzeptieren Sie das!
  • Sie können es auch testen, wenn Sie kurz aufhören mit streicheln. Bleibt der Hund stehen oder kommt sogar ein Stück näher, dürfen Sie weitermachen. Geht er weg oder wendet den Blick ab, zeigt Beschwichtigungssignale, reicht es für ihn. Bitte akzeptieren Sie das!
  • Kinder sollten so früh wie möglich lernen, nicht auf einen Hund loszustürmen und auch nicht hinter ihm herrennen, wenn der Hund weggeht, ein Hund kann das als Angriff werten
  • Auch Kindern kann man die Beschwichtigungssignale erklären
  • Auch laute Schreie, kreischen, hinter einander herrennen der Kinder und Spielgeräusche können für einen Hund ungewohnt sein und er reagiert mit Angst und Unsicherheit. Bitten Sie die Kinder darum, in dem Moment, wo sie einen Hund sehen, leiser zu sein und stehen zu bleiben
  • Bitte halten Sie den Hund nicht fest, umarmen Sie ihn nicht und versuchen Sie ihn auch nicht hochzuheben

Wenn Sie diese Punkte beachten, dürften Sie nicht von vorneherein die ersten Sympathie Punkte bei dem Hund verspielt haben.

 

Viele Hunde sind aber auch "Anpassungskünstler" und lassen dieses "getätschel" und "abgeknutsche" über sich ergehen, aber meistens nur von ihrem Besitzer, die er gelernt hat einzuschätzen und ihnen auch nichts anderes übrig bleibt.

Sie haben bei ihm gelernt, dass es zwar mega unangenehm ist, ihnen aber in erster Linie nichts weiter Schlechtes passiert, das ist aber nur ihrem "will to please" zu verdanken. Trotzdem kann es auch da immer wieder zu blöden Situationen kommen, nicht umsonst gibt es die meisten Beiss-Vorfälle in Familien mit Kindern (Bild oben).

Hunde sollen und müssen die Beschwichtigungssignale und Distanzvergrössernden Signale zeigen dürfen, weil es essenziell wichtig für sie ist, es ist ihre Kommunikation.

Sollte ihnen aber das Knurren oder Bellen abtrainiert worden sein oder sogar unter Strafe gestellt werden, werden sie das nicht mehr machen und gehen ohne Vorwarnung direkt ins Schnappen oder Beissen über.

Denn sie haben durch das Abtrainieren der Signale ja nicht gelernt, Annäherung von einem Unerwünschtem Gegenüber unter Umständen aushalten zu können. Das wäre fatal.

Er sollte also mit Knurren oder Bellen erfolgreich sein, damit sich sein Gegenüber früh genug entfernt ohne das es mit Schnappen und Beissen eskaliert.


Daher sollte auch kein Unterschied gemacht werden, ob der Hund einem fremd oder bekannt ist. Wenn man auf die richtige Annäherung achtet und weiss wie der eigene Hund reagiert, warum sollte man sich einem fremden Hund anders nähern, um seine Bekanntschaft zu machen?

Oder warum nähert man sich einem fremden Hund wie oben beschrieben, aber bei dem eigenen Hund ist man übergriffig?

Bei meinen beiden Hunden ist das immer ganz toll zu sehen.

Bei Menschen, die ihre Körpersprache beachten, gehen sie anschliessend auch mal gerne wieder vorbei um gestreichelt zu werden, wenn man in geselliger Runde zusammensitzt.

Bei Menschen, die sie bei der ersten Kontaktaufnahme am Kopf getätschelt haben oder übergriffig in ihre Individualdistanz kamen, zu denen gehen sie anschliessend nicht mehr hin oder halten gebührenden Abstand, so dass die Menschen erst gar nicht mehr so nah kommen können, um sie zu berühren.

Hunde sind ja nicht blöd...


Und sind wir mal ehrlich, wer von uns lässt sich gerne auf dem Kopf rumtätscheln oder ins Gesicht fassen ohne gefragt zu werden…


Achtet auf euren besten Freund, alles Gute für euch, Verena

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